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Der Architekt Peter Hübner hat in den Siebzigern futuristische Raumkapseln geschaffen, heute zeigen seine Schulen, wie menschenfreundliche Architektur geht. Ein Besuch.

Von Laura Weißmüller

  1. August 2022 – 7 Min. Lesezeit

Klar, dass so jemand wie Peter Hübner ein Elektroauto fährt. Der Architekt hat schließlich München 1972 mit derart futuristischen Raumkapseln versorgt, dass die Polyeder mit den knuffigen Bullaugen-Fenstern und den runden Türen auch 50 Jahre später noch auf den Fotografien von damals wie ein fröhlicher Gruß aus der Zukunft wirken.

Während der Olympischen Spiele waren in den strahlend weißen Kapseln Erste-Hilfe-Stationen, Kioske und Sanitärzellen untergebracht.

Vor allem aber transportierten die temporären Bauten eine Botschaft, wie sie heute kaum mehr einer zu formulieren wagt, lautete sie doch: Freut euch auf die Zukunft, denn sie wird gut! Mit seinen Schulen und Kindergärten hat Peter Hübner dann dieses Versprechen eingelöst.

Aquarell-Skizze eines Bremer Kindergartens.

„Wir hatten einen geradezu naiv utopischen Geist“, sagt der Architekt ein halbes Jahrhundert später, während er seinen kleinen E-Wagen in offenen Gesundheitssandalen gemächlich Richtung Neckartenzlingen steuert. Wobei einer der größten Utopisten aus dieser Zeit, der britische Architekt Peter Cook, Gründer der Avantgarde-Gruppe Archigram, nicht mehr aus dem Staunen herauskam, als er vor einigen Jahren das sah, was sein deutscher Kollege und dessen Frau Bärbel in einem ehemaligen Steinbruch zwischen Stuttgart und Tübingen geschaffen haben: sanft in den Hang modellierte Raumkapseln, zum Wohnen, Schlafen, Kochen und Arbeiten, über die Jahre erweitert mit lichten Holzhäusern, die erstaunlich gut zu den weißen Kunststoff-Polyedern passen, auch weil es auf all den unterschiedlichen Dächern so harmonisch grün wuchert.

Du hast ja all das realisiert, was wir nur gedacht haben, sei es Cook entfahren. Was Hübner heute mit schwäbischen Singsang und einer gewissen Zwangsläufigkeit begründet:

Als ausgebildeter Schuhmacher habe er „immer die Realität dahinter gesehen: Jede Utopie hat ein Stück Verwirklichkeit in sich, daran glaube ich bis heute“.

Weswegen ein Besuch bei dem 83-jährigen Architekten Peter Hübner nicht nur ein Gang durch ein staunenswertes Denkmal ist, das man Deutschland in seiner Verwegenheit und Abenteuerlust kaum zugetraut hätte.

Flokati-Teppich zum Isolieren an den Wänden!

Blutorangefarbene Sanitärzelle aus einem Guss!

Pool in Wolkenform!

Der Tag mit Peter Hübner liefert eben auch den Beweis, dass Utopien wahr werden können und manchmal sogar dabei helfen, die Zukunft zu formen. Kaum etwas dürfte heute, in Zeiten ständig neuer Katastrophennachrichten, dringender gebraucht werden als diese Hoffnung. Nicht um die aktuelle Krisensituation zu verharmlosen oder auszublenden, sondern um daran zu erinnern, was möglich ist, wenn man sich wirklich etwas traut, vielleicht sogar den Glauben an eine bessere Zukunft.

Skizze des Kinder- und Jugendhaus Stammheim.

„Es gibt eine Naivität, die einen befähigt“, sagt Peter Hübner, der aus beschichteter Wellpappe nicht nur die Olympia-Kapseln für München entworfen hat, sondern auch Kinderbausätze und faltbare Garagen. Später entwickelte er mit seinem Büropartner Frank Huster ganze Fertighäuser und Nasszellen aus Polypropylen, die es bis nach Saudi-Arabien schafften. Die Utopie, bei Hübner war sie stets auf den Millimeter genau. „Bei mir gibt es keine Theorie, die ich rein intellektuell entwickelt habe. Es ging immer über die Hand bei mir“, sagt er, während er durch „unser Paradies“ führt.

Die paar Tausend Quadratmeter ehemaliger Steinbruch sind heute eingewachsen, Bäume überragen die weißen Raumkapseln. Einige davon dürfte es schon seit dem Einzug am 4. November 1975 geben.

„Morgens kommt das Haus, abends die Gäste“, titelte 1976 die Illustrierte Wochenzeitschrift über den Aufbau vom neuen Wohn- und Arbeitsort der Familie Hübner. Zusammen mit seinem damaligen Büropartner hatte der Architekt zur Einweihungsparty am selben Tag geladen, an dem auch die 23 Raumeinheiten, Kunststoff-Polyeder, genannt „Casanova“, auf Lastwagen angeliefert wurden. Erbetenes Gastgeschenk: eine Grünpflanze.

Zu dem Grün sind über die Jahre die Mitbringsel der vielen Reisen von Peter und Bärbel Hübner gekommen. Tierskulpturen in allen Größen, Keramiken, großformatige Fotografien. Und die Holzhäuser, in dem das Team des von ihm 1980 gegründeten Büros Plus Bauplanung arbeitet, das heute mitunter einer seiner beiden Söhne führt. „Eigentlich heißt, ein Haus zu bauen, einen Ort zu bauen, an dem man sich erinnert“, sagt Hübner während er auf der schmalen Treppe im Büro trittsicher hoch- und wieder runtersteigt. Die Räume erstrecken sich wie ein Labyrinth auf mehreren Ebenen, helles Holz, große Fenster und das Grün des Teppichs sowie der vielen Pflanzen ringsum geben dem Ganzen etwas natürlich Gewachsenes, so als würde es sich hier um einen eigenständigen Organismus handeln und nicht um ein Architekturbüro.

„Meister unordentlicher Häuser“ hat Manfred Sack einmal Peter Hübner in der Zeit genannt. Was unbedingt als Lob zu verstehen ist. Der Architekt hat sein ganzes Leben eben nicht die Kisten entworfen, die in Deutschland landauf, landab entstehen, und wo es oft unmöglich ist zu sagen, was sich darin befindet. Wohnungen? Büros? Schulen? Dafür sind die streng rechtwinkligen Bauten funktional, mit Technikdecke und Wärmedämmung ausgestattet. Nichts gegen Funktionalität, aber man muss schon konstatieren, dass diesem Land regelmäßig die Menschlichkeit in seinen Gebäuden abhandengekommen ist. Wie man sich fühlt, ob man angeregt wird, vielleicht sogar inspiriert von der Umgebung, fällt nicht in die Kategorien, die deutsche Bauordnungen und Richtlinien kennen. Dass die Architektur aber Auswirkung auf das Wohlbefinden eines Menschen hat, auf seine Gesundheit, seinen Gemütszustand, ja sogar seine Fähigkeit, mit seinen Mitmenschen umzugehen, ist längst bewiesen. Nur weigern sich die Verantwortlichen, das einzugestehen, und die Bauindustrie betoniert unverdrossen vor sich hin.

Besonders fatal wird diese Einförmigkeit in der Architektur im Schulbau. Hübner nennt die Gebäude „ein Verbrechen an der jungen Generation“ und stemmt sich seit Jahrzehnten gegen die strikten Schulbaurichtlinien, die tatsächlich kaum kreative Freiheit zulassen. Bis auf den Zentimeter ist darin vorgegeben, was eine gute Klasse sei. Rechtwinklig soll sie sein, von einer Seite belichtet, die Stühle linear zur Tafel aufgestellt. Kisten, die auf den ersten Blick nicht viel von Kasernen unterscheidet.

Hübners Schulen, Kindergärten und Jugendzentren sehen anders aus.

Da wird eine Säule zum Saurierknochen und das Dach vom Dinokopf überragt.

Da gibt es Teiche im Inneren, Wendeltreppen und lichte Deckenkonstruktionen, gekurvte Wände und dschungelartige Bepflanzung.

Viele der Gebäude sind Waldorfschulen. Dort gibt es das Flurschema, wonach Erschließungsflächen nur 25 Prozent ausmachen dürfen, überhaupt nicht, weswegen Flure sich plötzlich zu Begegnungsorten weiten dürfen und Foyers auch mal Aufführungsorte werden können. „Da kommen automatisch ganz andere Schulen bei raus“, sagt Hübner.

Tatsächlich würde man aber auch die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen auf den ersten Blick nicht als Schule identifizieren.

Mit einem Flusslauf mitten im Foyer, dem lebendigen Auf und Ab der Dächer und den verschieden großen Baukörpern, die sich da aneinanderreihen, wirkt sie eher wie ein kleines Dorf.

Wie hat er diesen Entwurf nur durch all die Richtlinien bekommen? „Haben wir gar nicht, wir sind aus dem Wettbewerb geflogen“, sagt der Architekt. Am Tag danach habe der Rektor jedoch ihr Konzept gelesen und erklärt: Alles, was wir wollen, steht da drin! Weswegen die Preisrichter die Beschreibung noch mal zum Lesen bekamen und als der Rektor auf Nachfragen, ob er das wirklich wolle, ob er also wirklich das Risiko eingehen wolle – Kinder beteiligen! Alles Utopie! – , bei seiner Meinung blieb, wurde das Konzept von Hübner und seinem Team wieder reingeholt. 2005 wurde die Gesamtschule fertig.

Was die Schulen und Kindergärten von Peter Hübner so bewundernswert macht, ist, wie der Architekt die Kinder in den Entwurfsprozess miteinbezieht. Partizipation ist bei ihm kein pflichtschuldiges Lippenbekenntnis, ohne das kein größeres Bauprojekt heute mehr genehmigt wird, sondern etwas, das er seit Jahrzehnten mit vielen Händen umsetzt. In Gelsenkirchen hat er zu Beginn die Schüler gefragt, was das Wichtigste in einem Schulgebäude sei. Waschbecken, riet einer, Tafel, eine andere, wonach der Architekt alle aus Ton erst einmal einen Menschen formen ließ – was lustigerweise aussieht, als hätte Le Corbusier den Auftrag zum kindgerechten Modulor gegeben – , weil der Mensch, also sie selbst, für den Bau das Wichtigste sei. Dementsprechend stark identifizieren sich heute die Gesamtschüler mit ihrer Schule.

Viele Architekten tun sich nach wie vor schwer mit Partizipation, Laien hätten keine Ahnung, argumentieren sie, würden alles bremsen und komplizierter machen. Hübner, der die Partizipationsprojekte des Büros als die besten bezeichnet, sagt: „Die Vorurteile gegenüber Partizipation stimmen alle. Du kannst die Leute nicht einfach hinsetzen und sagen, macht mal!“ Der Planer könne aber die Fülle der Anregungen aus der Gruppe aufnehmen. „Das geht! Man muss nur das Vertrauen haben, dass sie das können. Man selbst ist der, der lenkt und steuert, aber nicht zu dominant.“ Zufälligerweise besitzt der Architekt seefahrergroße Pranken.

„Unordentlich“ sind Peter Hübners Häuser also vielleicht auch deswegen, weil die Menschen, die darin später wohnen, arbeiten oder lernen werden, schon beim Entwurf einziehen, weil sie ihre Ideen, Wünsche, ja auch ihre Fähigkeiten miteinbringen dürfen.

Beispielhaft zeigt das das legendäre Studentenwohnheim „Bauhäusle“ in Stuttgart, das Studierende von Peter Hübner, der mehrere Jahrzehnte an der Universität Stuttgart unterrichtete, 1982 selbst entwarfen und bauten.

Es ist ein grandioses Manifest, das sichtbar macht, was dabei herauskommen kann, wenn der Gemeinschaftsleistung mehr Respekt gezollt wird als einer bestimmten Architekturästhetik.

Kein Wunder also, dass Peter Hübner ein großer Fan der heutigen Baumärkte ist. „Was man da alles bekommt!“, freut er sich und macht mit den Händen in der Luft vor, wozu ein kleiner Bauschrauber von heute in der Lage ist: „Der bohrt sich quasi von selbst rein!“ Während andere Architekten über die Selbstbau-Ästhetik wettern, stimmt Hübner eine Ode darüber an, was man im Baumarkt heute für wenig Geld alles bekommt. „Walter Segal würde aus dem Grab rausspringen“, sagt Hübner. Der deutsch-britische Architekt, Zeitgenosse von Julius Posener und Bruno Taut, gilt als Selbstbau-Pionier. Während andere noch an ihrem Großmeisterstatus zimmerten, überlegte Segal sich ein System, dass auch Laien befähigte, das eigene Wohnhaus zu bauen. Der „kleine Mann mit dem großen Rucksack“ wie Hübner ihn nennt, hat ihn merklich inspiriert, genauso wie der Architekt Frei Otto, bei dem er arbeitete, um sich sein Studium zu finanzieren, und dabei 700 Stunden das Netz für einen gewissen Pavillon in Montreal knüpfte: Die lichte Konstruktion dort auf der Weltausstellung war die entscheidende Inspiration für das Olympiazeltdach in München. Wenn man so will, ist Peter Hübner eben ein handfester Utopist.

TextLaura Weißmüller

Digitales StorytellingFabian Riedel

BildredaktionFabian Riedel